Simon
, 29

Student Holztechnik, Biel (BE)

Es ist zehn Jahre her, seit ich das letzte Mal Psychedelika konsumiert habe. Aber immer wieder kommen diese Momente, da versinke ich in einem Gefühl, das sich wie ein Wiedersehen mit etwas Altbekanntem anfühlt. Dann stehe ich zum Beispiel da und schaue den Blättern zu, wie sie hoch oben in den Baumkronen im Wind tanzen. Wenn man diese tiefe Verbundenheit einmal gespürt hat, dann bleibt sie. Man kann sich in diesem Gefühl aber auch verlieren. Mir ist das passiert.

Ich bin in Berlin aufgewachsen. Meine Eltern trennten sich früh. Mein Vater starb, als ich 15 war. Trotzdem habe ich schöne Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend. Wir liefen frei in den Strassen herum, taten was wir wollten, bauten viel Mist, fühlten uns aufgehoben untereinander, waren frei und wild. Meine Mutter liess mich immer machen. Sie hatte genug mit sich selbst zu tun und verbot mir kaum etwas. Sie hätte mich aber sowieso von nichts abhalten können. Als sie mich mit 15 aufklären und mit mir einen Joint rauchen wollte, da war es schon zu spät: Mit 11 hatte ich bereits das erste Mal Alkohol getrunken, mit 14 das Kiffen entdeckt und dann mit 16 das erste Mal Speed probiert. Kurz darauf MDMA und LSD.

Substanzen waren für mich schon immer allgegenwärtig, sie waren überall um mich herum. Wir wollten damals alles probieren, waren neugierig und experimentierfreudig. Als wir das Nachtleben entdeckten, gehörten sie selbstverständlich dazu – für mich vielleicht nicht ganz so sehr wie für andere, aber dennoch. Über die härteren Sachen informierte ich mich immer im Internet, bevor ich sie probierte. Ich wollte wissen, was ich nehme und wie es wirkt. Vor allem LSD hatte es mir angetan. Trotzdem hielt ich mich zurück – synthetische Substanzen konsumierte ich immer mit Pausen.

Womit ich mich nicht zurückhielt, war das Kiffen. Spätestens seit ich 16 war, kiffte ich regelmässig. Aus «hin und wieder» wurden tägliche Joints, aus einem Joint pro Tag wurden mehrere. Wie viel wir damals tatsächlich rauchten, hatte wohl niemand von uns so wirklich im Blick.

Als ich mit 18 aus der Schule kam, fiel eine wichtige Struktur weg. Einen grossen Teil meiner Tage verbrachte ich mit Kiffen und Rumhängen. Mit meinen nur halbherzigen Bemühungen fand ich keinen Ausbildungsplatz. Stattdessen arbeitete ich im Stundenlohn in einem Automatencasino. Ich verbrachte viele lange Tage in dieser tristen Spielhalle und war umgeben von Leuten, die eine ungeheure Schwere mit sich trugen. Eine Situation, die mir weder Halt noch Perspektive bot. Als ich wegen einer Krankheit auch noch aufhören musste, Fussball zu spielen, fiel ein weiterer Anker weg. Ich sass herum, schaffte nichts mehr und wollte auch nichts mehr, kiffte und wurde irgendwann depressiv.

Ich war in dieser Zeit süchtig nach Cannabis. Obwohl ich von Psychedelika nie abhängig war, spielten sie trotzdem auch eine Rolle für meinen mentalen und emotionalen Zustand. Meine Gedanken wurden in dieser Zeit immer alltagsfremder. Ich beschäftige mich intensiv mit dem Gefühl, das LSD in mir ausgelöst hatte: diese Verbundenheit mit allem um mich herum, diese Auflösung zwischen mir und dem anderen – ich war wie besessen davon. Ich suchte in philosophischen Gedankenstrudeln zwanghaft nach dem Schlüssel für dieses Gefühl. Ich glaubte immer wieder, ganz nah dran zu sein und doch schaffte ich es nie, diesem etwas, das alles verband, vollends auf die Spur zu kommen.

Irgendwann verliess mich meine Jugendliebe. Erst als meine Freundin ging, realisierte ich, wie antriebslos und uninspiriert ich geworden war. Ich hatte es vorher schlicht nicht bemerkt. Ich liebte meine Freundin sehr und ich wollte alles tun, um sie zurückzugewinnen. Also meldete ich mich für eine Psychotherapie an. Das war der Anfang eines neuen Lebensabschnitts.

Über einen Verein, der sich der Suchtbekämpfung verschrieben hat, bekam ich einen Ausbildungsplatz als Schreiner. Meiner Mutter musste ich damals vom Kiffen erzählen. Vom Rest habe ich ihr bis heute nichts erzählt. Auch über meine psychischen Probleme sprachen wir kaum – ich habe sie nie als Unterstützung wahrgenommen. Eigentlich würde ich ihr gerne einmal die ganze Geschichte erzählen. Aber ich schäme mich.

Wer seinen Ausbildungsplatz behalten wollte, musste damals aufhören zu konsumieren. Die regelmässigen Tests bestand ich immer. Der kalte Entzug war hart, aber ich habe es durchgezogen. Damit fand ich ein neues Selbstwertgefühl und tatsächlich kam auch meine Freundin zu mir zurück.

Wir waren danach noch vier Jahre zusammen. Ich habe ihr viel zu verdanken. Sie ist eine reflektierte Person, die mich motiviert hat, mich mit mir selbst zu beschäftigen und dies dann auch mit ihr zu teilen.

Nach meiner Ausbildung bekam ich einen Arbeitsplatz in einer Schreinerei. Dort arbeitete ich zwei Jahre lang. Und ich blieb clean. 2018 kündigte ich schliesslich meinen Job. Meine Freundin und ich hatten uns mittlerweile getrennt – im Guten – und in mir flammte meine neugierige Seite wieder auf. Ich wollte reisen gehen. Ohne Plan und ohne zu wissen, wann ich zurückkomme.

Ich reiste quer durch Europa, machte Autostopp, schlief auf fremden Sofas und an Stränden unter freiem Himmel. Ich lernte viele neue Leute kennen, blieb oft wochenlang am selben Ort, ging klettern, verbrachte lange Abende an Lagerfeuern. Einmal ging ein Joint herum. Ich fühlte mich sicher und kiffte nach vier Jahren zum ersten Mal wieder. Sofort waren die Gedankenstrudel wieder da. Also liess ich es wieder bleiben.

Nach acht Monaten kehrte ich nach Berlin zurück und merkte: Es wurde Zeit für etwas Neues. Wegen des Kletterns wollte ich näher an die Alpen. Ich bekam einen Studienplatz in der Schweiz und so landete ich in Biel. Die Stadt fühlt sich ein wenig an wie die kleine Schwester von Berlin. Viel harmloser, aber irgendwie ein ähnlicher Vibe. Das mag ich. Jetzt studiere ich und arbeite daneben an der Hochschule in der Forschung. Ich klettere – und ich kiffe wieder.

Ich weiss, dass es ein Spiel mit dem Feuer ist. Mir wurde so oft gesagt: Wenn du einmal süchtig bist, dann bleibst du es für immer. Und das stimmt wohl. Aber ich bin relativ diszipliniert, kiffe so alle zwei Wochen mal, aber ohne strenge Regeln. Auf eine Art finde ich es okay, dass ich das tue. Keiner ist perfekt. Das gehört doch zum Leben!

Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich es vor mir selbst rechtfertigen muss. Cannabis gibt mir etwas, eine intensivierte Wahrnehmung, eine bewusste Körperlichkeit.

Von allem anderen lasse ich seit zehn Jahren die Finger. Vor LSD habe ich zu grossen Respekt, das würde ich nur nehmen, wenn ich mir sehr sicher wäre, dass ich damit umgehen kann. Und das bin ich nicht. Es geht nicht um die Angst vor einer negativen Erfahrung – im Gegenteil. Ich fürchte mich eher davor, dass das Alltägliche wieder zu belanglos wird.

Text: Elle
Bild: KI-generiert von Levin

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Eine Veranstaltungsreihe von substanzielles.ch, der Photobastei und der Gesellschaft zur Erweiterung des Bewusstseins. Jeden letzten Mittwoch im Monat in Zürich.

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