Softwareentwickler, Zürich
Als Teenager habe ich sehr viel gekifft. Den ersten Joint beim Aufstehen, den zweiten im Zug, den dritten im Park, dann ging ich in die Schule. Ich hatte einen Dealer im Dorf, der bot mir auch Pillen an, aber das hat mich nie interessiert. Irgendwann konnte ich meine Eltern überzeugen, dass selbst angebautes Gras sicherer war als irgendwo gekauftes. Also durfte ich in einem kleinen freien Zimmer eine Indoor-Plantage anlegen. Sie vertrauten mir wohl, weil ich immer gute Noten schrieb.
Heute weiss ich, dass ich ADS habe. Das wusste ich damals noch nicht, aber ich denke, das Kiffen war eine Art Selbstmedikation gegen die innere Unruhe. Nach dem Gymnasium verbrachte ich ein Jahr mit Gamen und Kiffen.
Dann kam ich an die ETH und mir wurde schnell klar, dass ich damit nicht mehr durchkommen würde. Also schnitt ich mir die langen Haare ab und hörte von einem Tag auf den anderen auf.
Jahre später, mit 26, erzählte mir ein Freund von MDMA und ich dachte zuerst: Huiuiui, der stürzt ab. Nach einigen Gesprächen wurde ich aber neugierig. Mein erstes Mal erlebte ich an einer Outdoor-Party beim Schützenhaus in Albisrieden. Es war überwältigend. Ich hätte nie erwartet, dass es so viel in mir auslöst.
Damals war ich ein verklemmter, schüchterner Nerd, der sich nicht traute, Frauen anzusprechen. MDMA hat in mir viele Knöpfe gelöst und Türen geöffnet, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Ich bin überzeugt, dass es einen therapeutischen Effekt auf mich hatte. In der Elektroszene lernte ich viele neue Leute kennen und bald hatte ich meine erste Freundin. Rückblickend war ich wohl eine Weile lang psychisch abhängig. Weil ich die Lockerheit so sehr genoss, habe ich an jeder Party konsumiert.
Heute nehme ich praktisch nur noch Koks. Ich mag diese Abende, wenn in der Küche ein Teller Koks vor uns liegt und wir die ganze Nacht hindurch plaudern.
Ich arbeite als Softwareentwickler bei einer Zürcher Firma mit über 2000 Mitarbeitern. Das ist nicht gerade mein Traumjob und eigentlich stört es mich, dass ich im kapitalistischen Hamsterrad gefangen bin. Aber ich will mir im teuren Zürich halt doch einen gewissen Lebensstandard leisten können. Vielleicht werde ich irgendwann noch Lehrer. Das könnte ich mir gut vorstellen.
Bei der Arbeit wissen die wenigsten, dass ich konsumiere. Das erzähle ich nur einigen Kolleg:innen, die mir nahestehen und die oft auch selbst konsumieren. Einmal traf ich an einem Dorffest zufällig einen Arbeitskollegen und war mitten in einem starken 2C-B-Trip. Das war sehr unangenehm, weil ich kaum reden konnte. Er dachte wohl einfach, ich sei betrunken – das ist auf dem Dorffest ja normal.
Ich muss bei meinem Arbeitgeber alle zwei Jahre einen Strafregisterauszug einreichen, deshalb will ich mich auf keinen Fall erwischen lassen. Dass ich etwas Illegales tue, ist mir durchaus bewusst. Aber weil ich ein weisser Mann bin, könnte ich ziemlich problemlos mit einem halben Kilo Koks durch die Strasse spazieren, während neben mir ein schwarzer Mann gefilzt wird. Das ist ziemlich absurd.
In meinem Heimatort, einem 300-Seelendorf im Luzerner Hinterland, sind Reto und ich die einzigen mit Konsumerfahrung. Eines Tages erzählten wir unseren alten Freunden davon und sie waren sofort neugierig. An einem Festival nahmen wir zu viert MDMA. Wir sassen die ganze Nacht um ein Feuer und redeten. Uns vier verband bis dahin diese typische Art von Männerfreundschaft, die nie besonders tief ging. Wir hatten immer Spass zusammen, aber wir sprachen nie über tiefe Gefühle. In dieser Nacht war es anders. Auf MDMA haben wir endlich darüber geredet, wie es uns wirklich geht. Wir sprachen über unsere Beziehungen, über Schwieriges und Berührendes.
Nach diesem Erlebnis blieb das Törli bei allen vier offen. Wir haben heute eine viel intimere Beziehung als früher. Hin und wieder trippen wir wieder einmal zusammen, aber es ergibt sich nicht mehr so oft, weil die meisten inzwischen Kinder haben.
Einmal war ich mit meinen Luzerner Freunden in einer Hütte in den Bergen. Ich hatte für alle LSD dabei. Meine Freunde waren vom MDMA ermutigt und wollten unbedingt einen ganzen Trip. Ich riet zu einem halben, aber sie überredeten mich. Das ging gar nicht gut aus. Beide hatten einen schlechten Trip.
Einer bekam ein Gedankenkreisen, aus dem er nicht mehr herauskam. Er sagte immer dasselbe. Für ihn war das ziemlich schlimm. Der andere erlebte eine Ich-Auflösung und eine Art Epilepsie-Schub mit Schaum vor dem Mund.
Wir waren kurz davor, die Ambulanz zu rufen, aber ich hatte zum Glück zwei Temesta dabei. Das holte die beiden runter. Obwohl Reto und ich auch high waren, nüchterte uns das Adrenalin in diesem Moment genügend aus. Wir blieben ruhig und konnten besonnen reagieren.
Ich machte mir danach aber lange Vorwürfe, weil ich mich für die beiden anderen verantwortlich fühlte. Ich hätte auf keinen Fall nachgeben dürfen. LSD ist eine wunderbare, aber auch anspruchsvolle Substanz.
Unterstütze unser Projekt mit
oder via
Unterstütze unser Projekt mit
GoFundMe (mit Kreditkarte)