Körpertherapeutin, Zofingen (AG)
Mein damaliger Freund hatte schon jahrelang von Psychedelika geschwärmt. Ich dagegen war stark geprägt von der «Aufklärungsarbeit», wie sie in den Neunzigerjahren in der Schule praktiziert wurde. Irgendwann überwand ich meine Vorurteile und war bereit für einen Pilz-Trip. Also machten wir es uns zu Hause gemütlich. Ich sah eindrückliche Muster, Farben und lustige Effekte. Am intensivsten war, dass ich eine ganz neue Verbindung zur Welt spürte. Es war unglaublich! Und es war sehr heilsam. Ich war seit mehreren Jahren stark depressiv und hatte zeitweise suizidale Gedanken. Nach dem Trip sah ich die Schönheit der Welt wieder. Diese Erfahrung gab mir so viel Kraft nach all der Schwärze und dem Schmerz.
Mit meinem Freund folgten weitere Pilzreisen. Beim dritten Mal war die Erfahrung trotz gleichem Setting eine völlig andere. Aus dem Nichts spülte es in mir eine sehr schlimme Kindheitserinnerung hoch. Ich brach sofort in Tränen aus, weil ich die Hilflosigkeit und den ganzen Schmerz wieder spürte. Ich erinnerte mich dann aber an Gespräche mit meinem Freund und an ein Buch, das ich über Therapie mit Psychedelika gelesen hatte. Darum wusste ich, dass ich mich nicht gegen solche Gefühle wehren sollte. Also beschloss ich, mich dieser Erinnerung zu stellen und setzte mich mit ihr auseinander.
Nach einer Weile erinnerte ich mich an eine Passage aus dem Buch, in der beschrieben wurde, wie jemand eine schwierige Erinnerung überwand, indem er sich unter die Dusche stellte und alles abspülte. Also ging ich duschen. Und es hat tatsächlich funktioniert – es ging mir augenblicklich besser! Dieses Erlebnis hat mir sehr geholfen. Ich hatte plötzlich ein Fundament, auf das ich bauen konnte. Das zu erkennen stärkte mich. Endlich hatte ich das Gefühl, mit dieser schrecklichen Erinnerung endgültig abschliessen zu können.
Diese Erfahrung hat mich total fasziniert. Ich wollte herausfinden, was mit diesen Substanzen sonst noch alles möglich ist. Gleichzeitig war ich fassungslos, dass ich für solche heilsamen Erfahrungen illegale Substanzen verwenden musste. Ich fing an, wie wild zu recherchieren. Es musste doch legale Wege geben! Irgendwann stiess ich auf den tschechischen Psychiater Stanislav Grof, der mit seiner Frau Christina die Technik des holotropen Atmens zur Therapiezwecken entwickelte, da eine Therapie mit psychoaktiven Substanzen am Anfang der Siebziger rechtlich nicht mehr möglich war. Das holotrope Atmen ist sozusagen eine legale Art, um in diesen Trancezustand zu gelangen.
In dieser Zeit hatte ich immer wieder diffuse Flashbacks aus meiner Kindheit. Ich war mir bewusst, dass ich Baustellen hatte, denn ich erlebte als Kind starke emotionale Gewalt vonseiten meines Vaters. Deswegen war ich über viele Jahre intensiv in einer ermüdenden Psychotherapie. Dort erreichten wir zwar gewisse Fortschritte, aber so richtig vorwärts ging es nie. Durch die Flashbacks wusste ich: Da versteckt sich noch mehr! Dem musste ich nachgehen.
So meldete ich mich zu meiner ersten holotropen Session an. In dieser Session kamen dann Erinnerungen an einen jahrelangen sexuellen Missbrauch hoch. Auf einen Schlag waren die diffusen Gefühle weg und ich konnte glasklar sehen. Mir tat es gut, endlich zu realisieren, was wirklich hinter meinen Gefühlen steckte. Diesen Missbrauch hatte ich so stark verdrängt, dass ich mich über Jahre nicht mehr daran erinnert hatte.
Nebst dem holotropen Atmen konsumierte ich zu Hause weiterhin Psychedelika und MDMA und machte intensive Integrationsarbeit. Zuerst ohne begleitende Therapie, später mit einer Körpertherapeutin. Ich fing an zu malen, schrieb Gedanken auf und sprach mit Freunden über meine Prozesse. Das brachte grosse Fortschritte, ich konnte mit diesen Tools richtig arbeiten! Die Integration folgte jeweils nach den Trips. Auf diese Weise praktizierte ich einige Jahre sehr bewusste Trauma-Arbeit. Ich merkte, wie meine Kräfte langsam zurückkamen. Das war kein linearer Fortschritt, aber die Wellen wurden immer höher, bis sie sich mit der Zeit oben einpendelten.
Die Auswirkungen des Traumas wurden so immer schwächer. Ich bin dankbar, dass ich diesen Prozess gemacht habe, es ist ein riesiges Geschenk. Inzwischen konnte ich den Fokus auf meine Persönlichkeitsentwicklung richten.
Ab und zu nehme ich LSD auch an einem Rave – hauptsächlich, weil es grossen Spass macht. Sowohl auf dem Floor, wie beim Reisen zu Hause habe ich immer wieder Momente von tiefen Einblicken oder erkenne spirituelle Zusammenhänge, mit denen ich dann weiterarbeite. Die Integrationsarbeit mache ich bis heute, sie hat sich einfach gewandelt. Früher zeichnete ich ein Bild für jede Erfahrung. Heute arbeite ich eher über mehrere Trips an Bildern, die einen längeren Prozess abbilden.
Ich glaube nicht, dass ich ohne Psychedelika aus meinem Trauma gefunden hätte. Ich habe auch Zweifel, ob ich heute noch am Leben wäre. Wahrscheinlich würde ich viel Zeit als Patientin in Psychiatrien verbringen.
Durch meine eigene Trauma-Bewältigungs-Erfahrung kam immer mehr der Wunsch auf, andere Menschen auf ihrem Weg zu unterstützen. Schliesslich weiss ich, wie es sich anfühlt, dort drin zu stecken. Ich hatte jedoch lange eine Blockade im Kopf und sah tausend Gründe, warum ich mich beruflich nicht neu orientieren konnte: Ich habe keine Matura, ich kann darum nicht studieren, und finanzieren könnte ich eine Ausbildung sowieso nicht. Meine Stimme im Kopf sagte immer: «Das kannst du sowieso nicht». Also blieb ich in meinem alten Labor-Job.
Dann kam mein erster richtiger LSD-Trip – eine unglaublich schöne Erfahrung. Von A-Z ein wunderschöner Trip. Ich war in einem freien und erlösten Zustand. Ich hatte auch keinerlei Gedanken rund um die berufliche Neuorientierung, doch irgendwie ist da eine Tür aufgegangen. In den Tagen danach, im Afterglow des Trips, kontaktierte ich die Berufsberatung. Dort besprachen wir mögliche Wege und innert kürzester Zeit meldete ich mich für eine Ausbildung an. Zuerst machte ich eine komplementärtherapeutische Basisausbildung, dann die traumatherapeutische Weiterbildung. Alles in allem dauerte das etwas über vier Jahre. Inzwischen habe ich meine eigene Praxis eröffnet.
Mit meinen Patientinnen und Patienten arbeite ich körpertherapeutisch. Das kann durch gezielte Berührung oder mit sogenannten Erfahrungsübungen passieren. Mit den Erfahrungsübungen erschaffe ich in der Praxis eine stressbeladene Alltagssituation meiner Klientinnen. Das macht es ihnen möglich, ihre eigene Reaktion darauf im geschützten Rahmen kennenzulernen und zu erforschen. Traumatisierte Menschen spüren sich oft schlecht und erkennen ihre eigenen Grenzen zu spät. Die sorgfältige Erforschung ihrer Körperempfindungen und Gefühle ermöglicht es ihnen, sich im Alltag klarer und differenzierter wahrzunehmen, wodurch sie besser auf sich aufpassen können. Dadurch, und mit Hilfe von Stabilisierungsübungen, sind sie dem Trauma nicht mehr ausgeliefert, sondern lernen, sich selbst zu helfen.
Eine Therapie fängt immer mit einer Zielvereinbarung an. Meine Patienten kommen mit ihrem Symptom in die Praxis. Natürlich ist es immer das Ziel, dieses Symptom loszuwerden. Wir fangen als erstes an, über den Körper gemeinsam zu untersuchen, was unter dem Symptom verborgen liegt. Ein Beispiel: Jemand hat Panikattacken beim ÖV-Fahren. Um herauszufinden, woher diese Angst kommt, stelle ich viele Fragen. In diesem Beispiel könnte ein Überfall die Ursache sein – dann würden wir durch langsames, achtsames Wahrnehmen der Körperreaktionen an den konkreten Aspekten dieses Überfalls arbeiten, die durch das ÖV-Fahren getriggert werden.
Ich arbeite nicht mit Psychedelika in meiner Praxis, stelle aber fest, dass immer mehr Patientinnen und Patienten privat darauf zurückgreifen. Da ich auch mit Breathwork arbeite und man damit einen ähnlichen Zustand erreichen kann, ziehe ich wohl auch entsprechende Menschen an. Ich erhoffe mir, dass ich irgendwann Teil eines Teams werde, das legal mit Psychedelika arbeiten kann. Ich bin überzeugt, dass das in therapeutischem Setting einen grossen Effekt hätte.
Für die therapeutische Arbeit finde ich es enorm wichtig, die eigenen Baustellen gut zu kennen, um den Patientinnen und Patienten den sicheren Rahmen bieten zu können, den sie brauchen. Als Therapeutin musst du deinen eigenen Shit wirklich aufgeräumt haben – und zwar ohne Illusionen.
In der psychedelischen Szene beobachte ich derzeit einen grossen Hype: Alle in der Flirt-Phase meinen, es sei heilige Medizin. Sie sind überzeugt, dass sie nur Psychedelika konsumieren müssen, um damit all ihre Probleme zu lösen. Je mehr sie nehmen, umso besser.
Da halte ich dagegen: Wenn keine Integrationsarbeit geleistet wird, kann das gefährlich werden. Psychedelika nehmen dir keine Arbeit ab, sie sind nur der Schlüssel zu deiner eigentlichen Arbeit. Es kann durchaus vorkommen, dass man auf Trip mit Problemen konfrontiert wird, denen man sich nicht stellen möchte. Bei häufigem Konsum kann dadurch eine Abwehrhaltung gegenüber diesen Problemen kultiviert werden. Das ist zum Glück selten, aber wenn Menschen ihre schwierigen Themen nicht mehr angehen, kann es vorkommen, dass sie stattdessen eine diffuse Angst vor etwas Mächtigem entwickeln und sich voll darauf konzentrieren. Das kann beispielsweise dazu führen, dass sie in den Strudel von Verschwörungserzählungen geraten.
Nebst dem Hype rund um Psychedelika beobachte ich auch die Wissenschaft. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ich persönlich kenne, haben ihre Füsse ziemlich gut auf dem Boden. Sie gehen vorsichtig und umsichtig in ihrer Forschung vor.
Meine Geschichte verleitet dazu, hauptsächlich das medizinische Potential von Psychedelika zu sehen. Aber trotz dieses grossen Potentials sollten diese Substanzen nicht nur zur Therapie oder Selbstoptimierung da sein. Es kann einfach auch wunderbar und heilsam sein, mit einer Substanz einen sehr schönen Tag zu verbringen! Der Wert des hedonistischen Gebrauchs darf nicht unterschätzt werden.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass Substanzen und deren Konsum komplett entstigmatisiert werden. Mit guter Aufklärung können Psychedelika eine wahnsinnige Bereicherung sein – und zwar für alle Aspekte im Leben.
Ich wünsche mir, dass sich die Gesetze daran orientieren würden, welches individuelle und gesellschaftliche Schadenspotential verschiedene Substanzen tatsächlich haben. Wenn man sich die wissenschaftlichen Daten dazu anschaut, fällt auf, dass unsere Gesetzgebung überhaupt keinen Sinn macht. Von der Verbotspolitik sollten wir generell wegkommen. Wir sehen seit über 50 Jahren, dass das nicht funktioniert, sondern mehr Schaden anrichtet, als es verhindert.
Durch eine intelligente Regulierung, die mit dem Schadenspotenzial übereinstimmt, könnte ein legaler Zugang zu qualitativ hochwertigen Substanzen ermöglicht werden. Damit würden wir mindestens die Hälfte unserer Drogenprobleme eliminieren – Portugal hat schon erfolgreich viele Schritte in diese Richtung getan. Zudem würden wir die Basis für einen faktenbasierten Umgang schaffen, der nicht moralisch aufgeladen ist.
Ich könnte mir spezielle Shops vorstellen, in denen alle Arten von Substanzen verkauft werden. Konsequenterweise auch die derzeit legalen Drogen wie Alkohol, Zigaretten und Koffein. Die würde man dann aus dem Supermarkt nehmen und in die Drogenshops überführen. In den Läden gäbe es eine kompetente Beratung, idealerweise brächten die Mitarbeitenden eigene Erfahrungen mit. Ähnlich wie im Media Markt: Wenn ich Kopfhörer kaufen will, werde ich zu den Mitarbeitenden mit dem entsprechenden Wissen verwiesen.
Die Konsumentinnen und Konsumenten sollten wissen, was sie machen und nicht einfach Verbote vorgesetzt bekommen. Ich finde, es steht jeder erwachsenen Person zu, selber zu entscheiden, welche Substanzen er oder sie konsumieren möchte. Auf jeden Fall bin ich für eine Altersbegrenzung. Aber im Erwachsenenalter gibt es keinen Grund, eine Rauscherfahrung zu verbieten. Ich hoffe sehr, dass ich irgendwann auch ausserhalb meines Freundeskreises ganz normal von meinem letzten LSD-Trip erzählen kann, als ob ich an einer Weindegustation gewesen wäre.
Haben Sie selbst Suizidgedanken, oder kennen Sie Betroffene? Auf der Website www.reden-kann-retten.ch oder per Telefon 143 finden Sie kostenlose und vertrauliche Hilfe.
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