Max
, 36

Wissenschaftler, Winterthur (ZH)

Ohne Substanzen wäre ich heute wohl Banker. Ich wäre verheiratet und hätte vielleicht zwei Kinder. Ich hätte wohl einen unkritischen Umgang mit meinem Leben. Es wäre sicher auch weniger bunt gewesen. Besser? Anders.

Ich gehe gerne dahin, wo es wehtut. Ich habe die dunklen Orte meiner Psyche angeschaut. Früher dachte ich, jeder sollte erleuchtet werden und jeder sollte sich einmal in so einem Zustand erleben. Heute weiss ich: Ich kann das, weil ich keinen grossen Rucksack mit mir herumtrage. Für andere kann das gefährlich sein.

Den Umgang mit Substanzen zu lernen ist ein langer Weg. Überleg dir das mal mit Alkohol. Wie lange dauert es, bis ein junger Mensch in der heutigen Gesellschaft herausgefunden hat, wie man idealerweise damit umgeht – trotz all der verfügbaren Informationen? Diesen langen Weg könnte man abkürzen.

Am Gymnasium habe ich viel Hiphop gehört, fünf bis sieben Mal pro Woche gekifft und war Teil dieser patriarchalen Kultur. Ich bin dauernd ins Fitnessstudio gerannt. Da war viel Testosteron dabei. Ich versuchte, meine jugendliche Unsicherheit zu übertönen. Ich war damals en huere Chaschte, en huere Trottel, und 16 Kilo schwerer als heute.

Wir in der Szene haben damals die Raver mit ihren Frisuren belächelt. Trotzdem nahmen mich, als ich 18 war, Freundinnen mit an die Lethargy. Da bin ich hin, so wie ich damals war, als Hiphopper mit dem vollen Programm: breite Hosen, 3XL-Shirt und Kette.

Die Gruppe hatte damals zwei Flaschen dabei, eine ohne und eine mit. Darin war MDMA. Ich habe mitgetrunken und es hat mich völlig verblasen, in a good way.

Die Unsicherheit in mir drin war plötzlich weg, es war Liebe da, und alle waren nett. Es war ein safe space und ganz anders als im Hiphop, wo man immer aufpassen muss, dass man nicht aufs Dach kriegt.

Dann hatte ich einen Autounfall. Ich bin gerast. Das war ein Schicksalsschlag. Ich wusste, dass ich etwas ändern musste. Noch mit breiten Hosen habe ich ein Wirtschaftsstudium begonnen. Ich wusste aber bald, dass das eine Furzidee war. Ich wollte mir damit wohl irgendwas beweisen.

Wegen der Techno-Szene zog ich 2010 für einige Zeit nach Berlin. Das ist eine der grossen Bruchstellen meines Lebens. Vom Balkon meiner Wohnung habe ich jeweils die Schlange vor dem Berghain gesehen. Mein Mitbewohner sagte mir gleich: Hier funktioniert der Ausgang anders. Samstag abends sind wir früh ins Bett, dann um fünf Uhr morgens aufgestanden und los zum Berghain.

Du gehst da rein und alle sind nett. Du nimmst was und dann bist du auch nett. Alle Ängste sind wie weggeblasen. Wenn du im Ausgang angerempelt wirst, dann ist das normalerweise Aggression, aber in der Panoramabar war das zu 99 Prozent Anmache – ganz anders als sonst!

Ich hatte grandiose Eltern, eine unbeschwerte Jugend, aber erst in den Kellern von Berlin habe ich mich selbst neu erfahren. Dort habe ich Zugang zur queeren Klubkultur gefunden. Ich bin als Hetero dorthin und auch als Hetero wieder zurückgekommen, aber die Zeit hat meine ganze Männlichkeit auf dem Kopf gestellt.

Meine Monate in Berlin sind one big blur. Bis dahin waren die Substanzen für mich Hedonismus und Party, danach hat sich meine Einstellung verändert. Ich machte sie zu meinem Lebensmittelpunkt. Ich dachte danach oft, ich hätte etwas anderes studieren sollen und habe später auch an die ETH gewechselt, um Philosophie zu studieren.

Dort entstand mit einer Gruppe von Freunden die Idee für ein so genanntes «Wahrnehmungskolloquium». Ich war da 24 Jahre alt. Das haben wir im Studentencafé bQm geplant. Wir waren Künstler, Chemiker, Psychiater, eine experimentierfreudige Gruppe. Wir wollten das ABC der Substanzen einmal durchprobieren. Zuerst haben uns wir uns eingelesen.

Das setting war immer ähnlich. Alle, die mitmachten, erhielten eine ähnliche Dosis und hörten die gleiche Musik. Es gab keinen Alkohol. Meistens waren wir bei jemandem zu Hause. Die Sessions haben wir protokolliert und teilweise auch gefilmt. Das Wahrnehmungskolloquium organisierten wir sechs Jahre lang und haben in diesem Kontext auch ungewöhnliche Substanzen wie Meskalin, 25I-NBOMe, 2C-E und MDA ausprobiert.

Wir benutzten die Substanzen um zu reisen. Diese Metapher war für uns mega zentral – im Gegensatz zum hedonistischen Spasskonsum. Wir wollten damals auch andere Leute aktiv zum Konsum von Substanzen wie MDMA, LSD oder DMT animieren.

Retrospektiv sage ich: Es ist wichtig, eine Art Reiseführer zu haben, wenn man terra incognita vor sich hat. Das kann auch subtil sein, zum Beispiel über die Auswahl der Musik. Sie bestimmt mega, wo es langgeht.

Es ist auch Teil des Programms, dass etwas schiefgehen kann. Solche Reisen können dich an dunkle Orte ziehen und es können Traumata hochkommen. Es ist gut, wenn für Notfälle jemand ein Temesta dabei hat und wenn man die kontraintuitiven Methoden kennt: Eine halbe Flasche Vodka zu trinken kann einen LSD-Trip beruhigen, zum Beispiel. Daran würde man nicht denken.

Man braucht ein spezifisches Talent, um solche Reisen zu führen und die Energien zu channeln. Ich selbst bin kein master of ceremony. Ich kann mich um die Musik und um die Substanzen kümmern – aber nicht mehr. Ich habe es dreimal versucht. Zweimal ging es in die Hose.

Diese Substanzen sind Werkzeuge und haben unglaublich viel Kraft. Peter Gassers Studien mit todkranken Menschen zeigen, wie sie Angst auflösen können. Wieso müssen heute Menschen leiden, wenn wir Mittel haben, um ihnen zu helfen? Unsere Therapiekonzepte müssen umgekrempelt werden. Wir müssen den Zugang ermöglichen, denn damit können wir Individuen mit Traumata und psychischen Erkrankungen helfen.

Wir können damit auch die öffentliche Gesundheit verbessern, indem wir schädliche Substanzen mit weniger schädlichen substituieren. Wenn du im Hive eine Pille nimmst statt drei Liter Bier trinkst: Wer geht höhere Risiken ein? Was ist gesünder? Womit geschehen mehr Unfälle?

An der heutigen Situation sind marktwirtschaftliche Mechanismen schuld. Die Substanzen kosten ja nichts. Das lohnt sich für niemanden. Was kostet dich ein Abend mit einer Pille? Um vier Uhr morgens bestellen im Klub alle nur noch Wasser. Vergleich das mit Alkohol: Was gibst du da an einem Abend für Getränke aus?

Ich wünsche mir, dass Expert:innen über Drogenpolitik entscheiden – pragmatisch und offen. Substanzen wie Psychedelika, MDMA und Ketamin müssten frei verfügbar sein. Stark regulieren würde ich Alkohol, Heroin und Kokain. Die sind scheisse, verursachen Probleme und haben Familienzerstörungspotenzial. Ich kenne niemanden, der mit dem Konsum von Kokain angenehmer geworden ist.

Für mich persönlich ist LSD die beste Substanz, die es je gegeben hat. Ich komme heute nicht mehr auf die Idee, 250 Mikrogramm zu nehmen. Mir reichen oft auch nur 100. Das beste singuläre Erlebnis hatte ich auf DMT. Da bist du 15 Minuten in einer Zwischenwelt, völlig weg. Sehr speziell und herausfordernd fand ich DOM, das waren irgendwie verschiedene Trips kombiniert in einem, wie eine Reise zu verschiedenen Planeten.

Ich mache seit drei Jahren Psychoanalyse, viel Sport und singe klassisch. Und nehme halt auch Psychedelika. Ich bin froh, wenn das entmystifiziert wird. Denn das sind alles Dinge, die mega gut für meine psychische Gesundheit sind.

Heute reise ich einmal pro Quartal, oft mit drei oder vier Freunden, abseits in der Natur, wo uns niemand stört. Ideal sind drei Tage. Wir trinken keinen Alkohol und nehmen auch keine anderen Substanzen. Am ersten Tag bereiten wir uns vor, am zweiten Tag machen wir den Trip, am dritten Tag kommen wir herunter. Wir kochen zusammen, diskutieren, was wir erleben und integrieren es gemeinsam. Das ist mir sehr wichtig.

Das sind Reinigungsrituale, ähnlich wie man am Sonntag in die Kirche geht. Dabei wird mir bewusst, wie unwichtig meine Karriere und mein Ego sind – und wie wichtig meine sozialen Beziehungen, meine Familie und meine Freunde. Es eicht meinen ethischen Kompass.

Text: Luis
Bild: KI-generiert von Levin

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