Kenji
, 52

Suchtmediziner, Basel

LSD entdeckte mich mit 17. Ich war jung, neugierig und leichtsinnig. Von der Dosierung hatten wir keine Ahnung, ich denke es waren vielleicht 300 Mikrogramm – sicherlich sehr viel. Ein Schulfreund hatte sturmfrei. Wir machten ein Fondue und würzten es mit drei Gramm Haschisch. Dann nahmen wir das LSD.

Über Stunden lag uns das Fondue wie ein Stein im Bauch und wir spürten nichts. Irgendwann begannen die Schatten der flackernden Kerzen lebendig zu werden. Plötzlich ging es schnell. Ich spürte, wie mein Bewusstsein meinen Körper verliess und ich rief: “Hey, ich glaube, ich bin gestorben, ich fliege mit den Vögeln!” Es war ein unglaublich befreiendes Gefühl. Wir blieben über 24 Stunden in dieser Wohnung. Zwischendurch waren wir über Stunden verwirrt und komplett überfordert. Das war verstörend und beängstigend, aber auch faszinierend.

Dieses Erlebnis hat mein Weltbild in seinen Grundfesten erschüttert: Die Realität war plötzlich vielschichtiger und formbarer, als ich es mir jemals hätte vorstellen können. In dieser Zeit habe ich mir mit Psychedelika einige Male die Finger verbrannt. Ich lernte schmerzhaft und kompromisslos, wie potent diese Substanzen waren und mit welchem Respekt man ihnen begegnen sollte. Manche Erlebnisse zogen mir in diesen jungen Jahren für Wochen den Boden unter den Füssen weg.

Dass ich Arzt geworden bin, hat nicht primär mit meinem Interesse an Substanzen zu tun. Trotzdem beeinflussten sie meinen Entscheid, Medizin zu studieren. Ich wollte besser verstehen, wie unser Gehirn solche Erfahrungen möglich macht.

Heute arbeite ich mit schwer suchtkranken Menschen, deren ganzes Leben von ihrer Erkrankung dominiert wird. Die häufigsten Substanzen sind Nikotin, Alkohol, Benzodiazepine, Heroin und Kokain. Unsere Patienten sind Menschen, die gesellschaftlich stark marginalisiert und psychisch und körperlich meist schwer krank sind. Sie haben kaum noch etwas zu verlieren, darum sind die Begegnungen mit ihnen sehr offen und ungeschminkt. Diese Nähe schätze ich sehr.

Dass jemand schwerstsüchtig wird, ist meist eine Folge persönlicher Traumata oder psychiatrischer Grunderkrankungen. Eine Sucht, die jeden Lebensbereich dominiert und die sowohl die Gesundheit als auch alle sozialen Beziehungen kompromittiert, ist nur in seltenen Ausnahmefällen allein auf die suchterzeugende Wirkung einer Substanz zurückzuführen.

Meist handelt es sich dabei um dysfunktionale Versuche, tiefsitzende seelische Schmerzen zu lindern. Sogar bei Substanzen mit erheblichem Abhängigkeitspotential wie Alkohol, Kokain, Amphetamin oder Opiaten entwickeln Menschen bei gelegentlichem Konsum nur selten eine Abhängigkeit. Was nicht heisst, dass ich deren Konsum bagatellisieren möchte.

Bei meiner Arbeit kommt mir immer wieder der Gedanke, ob wir Psychedelika für die Behandlung unserer Patienten nutzen könnten. Wir haben Patienten, die trotz zahlreicher erfolgloser Therapieversuche ihrer Sucht seit Jahrzehnten ausgeliefert sind. Ihre Sucht treibt sie in die Invalidität und häufig auch in einen frühen Tod.

Vielleicht, so meine Hoffnung, wäre es dank Psychedelika möglich, die sonst kaum durchdringbaren emotionalen Abwehrmechanismen zu überwinden und so tiefgreifende Veränderungen auszulösen. Aber gerade bei Schwerstsüchtigen sind wir noch lange nicht so weit. Uns fehlen schlicht die wissenschaftlichen Grundlagen.

Ich frage meine schwer suchtkranken Patienten häufig, wie sie zu Psychedelika stehen. Viele haben damit schon Erfahrungen gemacht, aber bei den meisten ist die Reaktion dieselbe: „Um Himmels willen, auf gar keinen Fall!“

Alkohol, Opiate und Stimulanzien wie Kokain schotten dich von deinen Emotionen ab. Psychedelika machen das Gegenteil: Sie öffnen einen Zugang zu deinem tiefen, inneren Wesenskern. Alles Persönliche, das sich dieser Öffnung entgegenstellt, wird dir schonungslos aufgezeigt.

Psychedelika können darum sehr konfrontativ sein. Die abwehrende Reaktion unserer Patienten ist darum gut verständlich. Wenn du dich in einem desolaten Zustand befindest, ist Konfrontation undenkbar.

Als Arzt verfolge ich die Forschung mit Psychedelika mit grossem Interesse. Bis vor zehn Jahren war das noch eine exklusive Angelegenheit, die nur wenigen Wissenschaftlern in Ländern mit liberaler Gesetzgebung wie der Schweiz vorbehalten war. Inzwischen gibt es weltweit Studien zur Anwendung von Psychedelika bei psychiatrischen Störungen. Man spricht daher auch gerne von der „psychedelischen Renaissance“.

Dieser Aufschwung hat gute Gründe: Psychiatrische Erkrankungen, allem voran depressive Störungen sind oft mit langen Krankheitsausfällen, Invalidität und grossem Leid verbunden. Inzwischen haben sich die meisten Psychopharmaka als schwach wirksam erwiesen. Gleichzeitig gab es in der Forschung in den letzten 30 Jahren keine Durchbrüche. Es wurden keine neuen Medikamente entdeckt, die bei psychiatrischen Erkrankungen besser wirksam wären. Viele Pharmakonzerne haben diese Forschungsabteilungen inzwischen wieder geschlossen, weil sie keine Gewinne einbrachten.

Rund um Psychedelika herrscht eine grosse Euphorie. Viele Menschen sind überzeugt, dass sie viele Probleme lösen werden. Aber gerade diese Haltung führt dazu, dass wir oft zu unreflektiert mit Substanzen umgehen. Wir unterschätzen, wie potent und daher auch riskant sie sind. Psychedelika können auch Schaden anrichten. Das gilt auch für den therapeutischen Kontext. Und gerade weil man damit auch einiges falsch machen kann, bin ich nicht sicher, ob sie wirklich mainstreamfähig sind.

Auf die Frage, ob Psychedelika der Gesellschaft einen Nutzen bringen, hat der bekannte Ethnobotaniker Terence McKenna einmal geantwortet: „Wer sie noch nie probiert hat, ist für dieses Urteil nicht qualifiziert. Und wer sie probiert hat, hat sich damit disqualifiziert.“ Das bringt die Sache ziemlich gut auf den Punkt.

Meine eigenen psychedelischen Reisen sind bis heute ein wichtiger Teil meiner Identität. “Psychonaut” ist ein Begriff, mit dem ich mich voll und ganz identifiziere. Über die Welt und deren Schönheit und Komplexität zu staunen ist für mich bis heute etwas vom Wertvollsten überhaupt. LSD und andere Psychedelika laden uns dazu ein. Sie verflüssigen die Realität, lösen starre Denkmuster auf und ermöglichen uns eine neue Sicht auf die Welt. Dadurch ergeben sich neue Handlungsoptionen – plötzlich erscheint vieles möglich.

Ich reise gerne in rituellem Rahmen oder mit Freunden in der Natur, bin aber auch ein leidenschaftlicher Festivalgänger. Eine ästhetische Stadtführung in Florenz auf LSD bereichert mich genauso wie eine Wanderung alleine in der Natur. Ich finde, Substanzen können in ganz unterschiedlichen Kontexten achtsam genutzt werden. Am wichtigsten sind ein gutes set und setting. Bin ich im Reinen mit mir? Stimmen der Ort und die Menschen?

Diese Erfahrungen verbinden mich mit den Menschen, mit denen ich sie teile. Es entstehen neue Freundschaften, oder bestehende werden vertieft. Ich erlebe die Natur in diesen Zuständen als lebendige Entität. Das ist sehr eindrücklich. Ich weiss nicht, ob Psychedelika mehr können als das: Uns Menschen verbinden und uns einen sorgsamen Umgang mit der Natur lehren. Der psychedelische Zustand ist für mich eine Würdigung des Daseins.

Ich habe inzwischen sicher hundertmal LSD genommen und wohl die gängigsten Substanzen ausprobiert. Dabei haben sich für mich eigentlich nur Psychedelika als wirklich nachhaltige Hilfsmittel bewährt. Mein Motto dazu: Eine Reise in jeder Jahreszeit. Das hilft mir, mich immer wieder an das Wesentliche im Leben zu erinnern.

Text: Elle und Luis
Bild: KI-generiert von Levin

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