Gemeinderätin,
Ich befinde mich gerade in der Mitte des Lebens. Es ist eine Phase der Weiterentwicklung und neuer Freiräume. Ich fühle mich ausgeglichener als früher, weiss besser, wer ich bin und was ich möchte – das ist ein gutes Gefühl.
Als Frau ist es gleichzeitig auch eine Phase der körperlichen Veränderung. Ich merke erste Anzeichen der Perimenopause und fühle mich damit ziemlich alleine gelassen. Diese Lebensphase wird immer noch stark tabuisiert. Meine Stimmungsschwankungen sind in den letzten Jahren zum Beispiel stärker geworden. Die depressiven Verstimmungen und den Druck auf der Brust belasten mich in gewissen Phasen sehr.
Bei der Arbeit erzählte mir ein Kollege, dass er gegen seine depressiven Verstimmungen Psilocybin nehme. Der ist als Typ sehr seriös, kontrolliert und vertrauenswürdig. Da kam mir zum ersten Mal der Gedanke: Wenn der das macht, könnte ich das vielleicht auch einmal probieren.
Im Gewürzeschrank in der Küche fand ich eine kleine Portion Pilze, die mir vor 10 Jahren einmal jemand gegeben hatte. Die habe ich auf dem Gemüsebrett zerkleinert und abgewogen. Ein Freund hatte mir erzählt, dass seine belgische Bekannte von ihrer Psychiaterin Psilocybin verschrieben bekommen hatte. Sie nannte als Faustregel fürs Microdosing maximal das eigene Körpergewicht durch Hunderttausend. Aus Vorsicht und weil ich etwas Angst davor hatte, fing ich mit einer kleineren Dosis an und nahm 0.1 Gramm. Daran hat sich seither nicht viel geändert: Eine Dosis zwischen 0.1 – 0.15 Gramm passt gut für mich.
Bald merkte ich, dass sich die Pilze schlecht dosieren liessen. Das Psilocybin ist nicht homogen im Pilz verteilt, je nach Stück merkte ich einmal mehr oder weniger davon. Inzwischen habe ich Pilzpulver gefunden. Das hat etwa die Konsistenz von Mehl und lässt sich präziser dosieren.
Die Wirkung ist sehr sanft. Ich habe keine Sinneserweiterung, sehe keine Farben und werde auch nicht euphorisch. Es erdet mich und gibt mir ein wenig Schutz, ich fühle mich weniger dumpf und weniger traurig. Eigentlich fühle ich mich ziemlich normal. Die Pilze kappen einfach die Spitze des negativen Gefühls, das an diesen Tagen so streng ist.
Ich nehme das Psilocybin nun seit anderthalb Jahren. Ich nehme es nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt im Zyklus, sondern entscheide eher situativ. Wenn es mir nicht gut geht, wäge ich meine Portion ab, nehme sie und gehe zur Arbeit. Das mache ich maximal zwei Tage hintereinander und höchsten fünf Mal pro Monat. Ich habe da schon ein paar autoritäre Stimmen im Kopf, die mir sagen: Das sind Drogen, pass auf damit!
Inzwischen habe ich mich genauer ins Thema eingelesen. In einer Vergleichsstudie mit verschiedenen Substanzen kam heraus, dass Alkohol für das eigene Wohl und für das seines Umfelds die problematischste Droge überhaupt ist. Pilze hingegen rangieren ganz weit unten und haben praktisch keine negativen Auswirkungen.
Da finde ich es schon eigenartig, dass ich schräg angeschaut werde, wenn ich hin und wieder microdose, während Trinken als völlig normal gilt. Eine Freundin, die abends regelmässig mehrere Gläser Alkohol trinkt, fragte mich stirnrunzelnd, warum ich das mit den Pilzen brauche. Würde ich legale Psychopharmaka nehmen, würde niemand so reagieren. Dabei sind manche dieser Medikamente sehr potent und suchtgefährdend.
Ich weiss, dass ich anfällig für Süchte bin, seit ich mit 16 anfing zu rauchen. Mit anderen Drogen bin ich darum immer sehr zurückhaltend gewesen. Gekifft habe ich früher ab und an, heute vielleicht einmal im Jahr, wenn überhaupt.
Mit Koks bin ich früh in Berührung gekommen. Ich arbeitete während der Ausbildung in der Gastronomie und da waren viele dauernd auf Koks – auch während der Arbeit. Ich habe das immer strikt abgelehnt, obwohl es mir oft angeboten wurde. Aus Angst, dass es mir zu gut gefällt, aber auch weil ich Menschen auf Koks recht anstrengend finde.
Auch im Gemeinderat gibt es Kreise, in denen im Ausgang Drogen konsumiert werden. Ich weiss es nur von einigen, mit denen ich gelegentlich privat zu tun habe. Getrunken wird natürlich sowieso in allen Parteien viel. Aber das ist ja gesellschaftlich akzeptiert.
Ich selber lasse abgesehen vom Microdosing nach wie vor die Finger von den meisten Substanzen. Mit Rauchen habe ich mit 30 aufgehört. Das fiel mir gar nicht so schwer wie ich dachte. Nach einigen Jahren Pause rauche ich inzwischen gelegentlich im Ausgang. Auch Alkohol trinke ich, wenn ich abends unterwegs bin. Und eine Arbeitskollegin hat mir einen LSD-Spray vermacht, davon nehme ich im Ausgang manchmal ein bis zwei Spritzer. Es macht mich vor allem wach und aufmerksam. Ich nehme die Musik intensiver wahr, die Farben leuchten stärker und ich bewege mich freier – bin mehr bei mir. Mehr als drei Spritzer habe ich noch nie genommen. Vor einem richtigen Trip habe ich viel zu grossen Respekt.
LSD wäre ja auch eine Option für mein PMS, aber ich glaube, das passt mir weniger. Pilze sind erdender, sie können sogar eher müde machen als wach, aber sie geben mir genau das, was mir an diesen Tagen guttut. Ich habe auch schon überlegt, das Psilocybin regelmässiger zu nehmen, zum Beispiel während der ganzen zweiten Zyklushälfte. Ich habe gelesen, dass das präventiv gegen PMS helfen kann. Aber bisher fahre ich so gelegentlich ganz gut damit.
Dass ich das Psilocybin nehmen kann, hat für mich etwas Emanzipatorisches. Ich muss meine schlechten Gefühle nicht aushalten, sondern habe ein Mittel, das mir damit hilft. Das ermöglicht mir Freiheit und Selbstbestimmung.
Gleichzeitig ist mir aber bewusst, dass ich mich dadurch auch ans System anpasse. Dank der Pilze kann ich an schlechten Tagen meine Leistung bei der Arbeit bringen, eine Sitzung moderieren oder im Gemeinderat sprechen. Mein Umfeld leidet weniger unter meiner schlechten Laune und ich komme besser mit strengen Tagen unter vielen Leuten zurecht. Dass ich die Pilze nehme, liegt also vor allem daran, dass ich mich in unserem System nie in die Höhle zurückziehen kann, die ich an diesen Tagen eigentlich bräuchte.
Für mich ist darum nicht ganz so klar, wie gut ich die ganz Sache eigentlich finde. Auf eine Art bin ich froh, dass ich das Psilocybin entdeckt habe. Und auf eine andere Art ermöglicht es mir vor allem, in unserer Gesellschaft jeden Tag so zu funktionieren, wie es von mir erwartet wird.
Eine Veranstaltungsreihe von substanzielles.ch, der Photobastei und der Gesellschaft zur Erweiterung des Bewusstseins. Jeden letzten Mittwoch im Monat in Zürich.