Nationalrat, Schweiz
Ich politisiere als Nationalrat in Bern und für mich ist klar, dass alle Substanzen legalisiert werden müssten. Als politisches Thema ist das allerdings sehr unattraktiv. Politiker ändern ihre Meinung zu bestimmten Themen ja immer dann, wenn sie denken, dass es ein organisiertes Wählersegment gibt, für das es sich lohnt, einzustehen. Drogen haben das nicht. Man wird mit dem Thema keine Wähler gewinnen. Das Einzige, was Drogen mitbringen, ist ein riesiges Stigma.
Es ist auch heute noch durchaus heikel, sich politisch für die Legalisierung harter Drogen einzusetzen. Andrea Caroni schlug vor einigen Jahren vor, Kokain zu legalisieren. In der Rundschau wurde er prompt gefragt, ob er selbst konsumiere. Man exponiert sich stark und nimmt ein politisches Risiko in Kauf, wenn man sich für das Thema einsetzt.
Während einer Session kam einmal ein drogenpolitisches Thema auf den Tisch. Da habe ich mir überlegt, wie viele hier im Parlament wohl konsumieren. Der Rat ist ja ein ziemlich gutes Abbild der Bevölkerung. Also müssten es wohl einige sein.
Für uns Politikerinnen und Politiker ist es normal, Privates und Berufliches strikt zu trennen. Das gilt auch für andere Lebensbereiche, aber für Substanzen ganz besonders. Der Nationalrat ist wirklich ein Haifischbecken. Selbst wenn man sich gut versteht, gehe ich davon aus, dass 98 Prozent der Parlamentarier solche Informationen gegen andere verwenden würden, wenn es ihnen nützen würde.
Trotzdem gibt es im Parlament ja interessanterweise viele offene Geheimnisse. Es gibt zum Beispiel einige notorische Fremdgänger und ein paar starke Alkoholiker. Das wissen alle. Und mit «alle» meine ich sämtliche Ratskollegen, das Sekretariat, die Parlamentsdienste, die Mitarbeiter im Bundeshaus, die Leute aus der Verwaltung, die Journalisten – alle eben. Aber niemand schreibt darüber. Hin und wieder passiert es, dass sich einer nicht an diesen Code hält. So passieren dann Skandale.
Es ist darum verständlich, dass die Verschwiegenheit bezüglich des eigenen Drogenkonsums besonders gross ist. Ich bin mir nicht sicher, ob es das Ende der Karriere wäre, wenn von einem Nationalrat oder einer Nationalrätin bekannt würde, dass er oder sie konsumiert. Es kommt wohl darauf an, auf welche Art es herauskäme. Eine Schlagzeile im Blick wäre natürlich schlecht.
Jedenfalls ist es bei uns sicher nicht wie bei den Bankern. Da wird nicht nach Feierabend mit Kollegen eine Linie gezogen. Nur getrunken wird natürlich viel. Das finden alle normal. Wegen der vielen Abendtermine trinke ich selber sicher fünf- bis sechsmal pro Woche. Das ist gemäss WHO-Definition durchaus bereits im problematischen Bereich – und ich gehöre im Rat nicht zu den Vieltrinkern.
Die Schweiz hätte ja eigentlich gute Karten, um sich international als Vorreiterin in der Drogenpolitik zu positionieren. Sie hat sich in den Neunzigerjahren mit ihrer Vier-Säulen-Politik hervorgetan und hat viel Expertise in diesem Gebiet. Die lateinamerikanischen Staaten machen immer mehr Druck in Richtung Legalisierung – das ist auf dem internationalen Parkett stark zu spüren. Der grösste Schaden der westlichen Drogenpolitik entsteht schliesslich dort.
Für uns im Inland spielen diese Argumente allerdings keine Rolle. Bei uns lässt sich über Drogen höchstens im Kontext von Sucht sprechen. Ruth Dreifuss konnte vor zwanzig Jahren deshalb viel erreichen. Der Platzspitz betraf uns direkt – alle verstanden, dass etwas unternommen werden musste. Heute gibt es diesen Leidensdruck nicht mehr – also ist das Thema politisch heikel.
Die einzige illegale Substanz, die langsam salonfähig wird, ist Cannabis. Bei Cannabis ist das Stigma aus irgendeinem Grund weniger ausgeprägt. Kiffen hat eine Lobby. Ich bin überzeugt, dass wir Cannabis noch in dieser Legislatur vollständig legalisieren werden. Schweizer Bauern werden Hanf anbauen und vermutlich dafür Subventionen erhalten, so wird dafür ein Schweizer Markt kreiert. Die Legalisierung wird an einen starken Jugendschutz gekoppelt, wie bei Alkohol und Tabak.
Dass andere Substanzen bald nachziehen, glaube ich allerdings eher nicht. Wir stehen Rausch generell skeptisch gegenüber. Loslassen wird als etwas Negatives angesehen, wir wollen lieber produktiv sein. Trotzdem merken wir wohl auch im Bundeshaus – wenn auch sehr langsam –, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Konsum zu verändern beginnt. Dass heutzutage ein Bundesrat an der Street Parade auftaucht, ist ein Zeichen dafür, dass gewisse politische Seiten langsam beginnen abzutasten, wie viel bei diesem Thema möglich ist.
Wie kommt ein solcher Auftritt bei der Bevölkerung an? Wird das noch als skandalös empfunden? Oder ist bereits ein gewisses Selbstverständnis da? Aber noch sind mit dem Thema alle wahnsinnig vorsichtig – es ist und bleibt ein heisses Eisen.
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