Grafikerin, Fribourg
In meinem Umfeld konsumieren nicht sehr viele Leute Substanzen. Aber ich schon.
Ich lebe in einer WG in der Stadt Fribourg. Meine Mitbewohner und ich gehen oft klettern. Ich lese gern und verbringe viel Zeit draussen. Gerade habe ich eine Weitwanderung in den italienischen Alpen hinter mir. Früher sass ich oft hinter dem Computer und spielte stundenlang mit 3D-Animationen. Heute arbeite ich als Grafikerin für ein Medienunternehmen. Ich mag meine Arbeit, aber ich glaube, dass ich eines Tages gerne etwas machen möchte, das mir mehr Sinn gibt – vielleicht in einem Pflegeberuf.
Vor etwa fünf Jahren fragte mich ein Freund, ob ich Lust hätte, MDMA zu probieren. Er konsumiert gelegentlich bei sich zu Hause mit ein paar Freund:innen. Ich sagte sofort zu. Da ich ihm voll vertraue, war ich sehr aufgeregt, hatte aber keine grösseren Bedenken. Als die Wirkung langsam einsetzte, wurde mir zuerst sehr unwohl. Ich mochte das Gefühl überhaupt nicht und mir wurde schlagartig bewusst: Es gab keinen Weg zurück. Die anderen vier waren zum Glück erfahren und halfen mir über diese Unsicherheit hinweg. Als ich mich in den Schoss des Freundes legte, beruhigte mich der Körperkontakt sofort und ich wurde erfüllt von diesem wohligen, warmen Gefühl.
Ich fühlte mich etwas unsicher, weil ich nicht wusste, wie man sich in so einer Situation verhält und was wir nun machen würden. Aber wir redeten einfach viel, kuschelten und mich beeindruckte die enge Verbindung, die ich zu allen spürte.
Gegen Ende befielen mich ziemlich unangenehme, negative Gedankenspiralen, aus denen ich nur schwer herausfand. Am nächsten Tag fühlte ich mich etwas matschig und ziemlich weggetreten. Ich ass den ganzen Tag nichts und als ich in der Nacht darauf aufstand, wurde mir schwarz vor Augen. Das machte mir kurz Angst, aber ich realisierte bald, dass mein Kreislauf einfach am Anschlag war. Gleichzeitig war ich auch total euphorisiert von meinem Erlebnis.
Diese kleine Runde entwickelte sich zu einem immer engeren Freundeskreis. Mehrere Jahre trafen wir uns immer wieder bei jemandem zu Hause für solche MDMA-Sessionen. Eines Tages geriet einer meiner Freunde dadurch allerdings in eine Depression, die mehrere Monate dauerte. Wir machten es noch einige Male ohne ihn, aber es war irgendwie nicht mehr dasselbe. Mein Freund bekam auch bald ein Kind und jetzt machen wir das nicht mehr. Befreundet sind wir aber immer noch.
Ich war lange eine sehr unsichere, junge Frau und kämpfe bis heute immer wieder mit depressiven Verstimmungen. In den letzten Jahren habe ich viel über meine Psyche gelernt. Dazu haben meine Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen sicher beigetragen. Ich habe dadurch wichtige Erkenntnisse über mich gewonnen, die ich auf meinen Alltag übertragen konnte. Durch negative Trip-Momente konnte ich besser verstehen, wo meine Ängste und Selbstzweifel liegen.
Vor etwa einem Jahr habe ich mit zwei Freunden LSD ausprobiert. Das war bisher mein einziges Mal – aber nächste Woche wird mein zweites Mal sein. Ich bin schon ziemlich aufgeregt.
Wir waren zu dritt auf dem Chasseral unterwegs und hatten je 100 Mikrogramm genommen. Zuerst spürte ich eine innere Nervosität und ein ungewöhnliches Herzklopfen. Wir kämpften uns irgendwo durch das Gestrüpp quer den Hang hoch und lachten uns dabei tot! Ein Jogger kam mehrmals an uns vorbei. Was er sich wohl bei unserem Anblick dachte? Obwohl es windstill war, bewegten sich alle Bäume und Blätter – die Natur wirkte sehr lebendig. Weil es anfing zu regnen, machten wir uns irgendwann auf den Heimweg.
Zu Hause legten wir uns in einem Kreis auf den Boden, legten die Köpfe in die Mitte und hörten über zusammengehängte Kopfhörer dieselbe Musik. Erst da entdeckte ich die richtig beeindruckende Seite von LSD! Das waren regelrecht Stunden der Selbsttherapie. Ich sah Bilder von mir, die sich offenbar tief in mein Unterbewusstsein eingegraben hatten. Und ich realisierte, dass manche dieser Bilder mir im Alltag nicht guttun. Während des Trips konnte ich sie aktiv durch neue und schönere Bilder ersetzen. Das hatte eine extrem wohltuende Wirkung.
Ich glaube, ich bin jemand, dessen Leben stark vom «Müssen» bestimmt wird. Ich habe das Gefühl, vielen Erwartungen entsprechen zu müssen. Das zu realisieren war ein wichtiger Anstoss für mich. Während des Trips dachte ich an meinen Vater. Er ist jemand mit vielen gesellschaftlichen Zwängen im Kopf. Ich wünschte mir in diesem Moment für ihn, dass er so etwas auch einmal erleben könnte. Weil ich weiss, dass er das nie tun würde, erwähne ich es ihm gegenüber aber lieber nicht.
Dafür habe ich es meinem Grosi erzählt. Sie ist ein sehr spiritueller Mensch und kannte viele meiner Erlebnisse aus eigener Erfahrung, obwohl sie selbst nie LSD konsumiert hat. Sie hat sich sehr für mich gefreut. Früher fand ich ihre Spiritualität immer sehr kurlig – jetzt habe ich viel mehr Verständnis dafür. Ist es nicht grossartig, dass ich dank LSD mit meinem Grosi bonden konnte? Das muss man erstmal schaffen.
Anders als MDMA löste LSD in mir in den nächsten Tagen einen grossen Seelenfrieden aus. Bei der Arbeit in der Woche drauf sass ich mit meinem Arbeitskollegen Raphael beim Kaffee und überlegte hin und her, ob ich etwas sagen sollte. War er ein Eingeweihter, oder nicht? Schliesslich traute ich mich: «Hast du schon mal Drogen konsumiert?», fragte ich. Er sah mich an und lachte. Seither sprechen wir immer wieder darüber, auch mit einigen anderen im Team. Diesbezüglich irrt man sich lustigerweise ja nie in den Leuten. Keine Ahnung, warum das so ist.
Mit meiner Psychotherapeutin war es leider etwas anders. Wir sprachen über meine Suche nach einem Gefühl von «Lebendigkeit» und sie fragte mich, ob ich das Gefühl von irgendwo her kenne. «Von meinen Erfahrungen mit Drogen», sagte ich. Sie verdrehte die Augen, wurde kurz still und kommentierte bloss: «Dazu sage ich jetzt nichts.» Und das wars. Das fand ich ziemlich schwach.
Wäre ich ein anderer Mensch, wenn ich die Substanzen nie entdeckt hätte? Ich glaube nicht. Ich war all diesen Dingen ohnehin auf der Spur. Aber dass ich heute so oft in der Natur bin, dass ich sportlicher geworden bin, all das hat wohl schon damit zu tun. Früher war ich mehr getaktet und suchte dauernd Ablenkung. Heute verbringe ich öfter bewusst Zeit nur mit mir.
Seit ich auf LSD meine Gedanken in alle Einzelteile zerlegt und die Komplexität unseres Denkens bis in die Knochen gespürt habe, empfinde ich viel mehr Wertschätzung dafür, was in mir drin alles passiert.
Unterstütze unser Projekt mit
oder via
Unterstütze unser Projekt mit
GoFundMe (mit Kreditkarte)