Osteopath, Olten
Während der Lehre fing ich mit dem Saufen an. Das war 1999, ich war 14. Ich war dauernd unterwegs mit meinen Kumpels. Am Abend um zehn Uhr hatte ich jeweils ein blackout. Oft waren wir an Chilbis oder Dorffesten, dort sassen wir zusammen, haben geredet und gesoffen. Wenn mir schlecht wurde, drehte ich den Kopf zur Seite, kotzte, und machte weiter. Das ging ungefähr drei Jahre so.
Gegen Ende meiner KV-Lehre las ich «Die dunkle Seite des Mondes» von Martin Suter. Das Buch faszinierte mich und danach wollte ich unbedingt im Wald leben. Doch dann bot mir eine grosse Energiefirma einen Job an. So landete ich nicht im Wald, sondern im Büro.
In dieser Zeit entdeckte ich Ritalin. Ich nahm es in einem Pub mit Freunden und liebte das Gefühl, plötzlich angeknipst zu sein. Ich war euphorisch, «bäm», einfach so, ohne Alkohol. Dieses neue Gefühl konnte ich mit Alkohol nicht reproduzieren. Damals war ich pausenlos im Nachtleben unterwegs. Ich schlug mir Nächte im Zürcher Rohstofflager um die Ohren. Trotz meiner Nähe zum Techno hatte ich keinen Zugang zu Substanzen.
Also begann ich mich für legal highs zu interessieren. Ich reiste nach London und besorgte mir Salvia divinorum und hawaiianische Holzrose. Beide Pflanzen sind legal und beide wirken psychoaktiv. Damit experimentierte ich dann eine Weile herum. Gleichzeitig arbeitete ich auch viel. Ich war fleissig und wurde in der Firma geschätzt. Inzwischen war ich Leiter der Buchhaltung. Mein Ziel war die Geschäftsleitung.
Und dann kam Jane. Jane war verrückt. Mit Jane war ich von Donnerstag bis Sonntag – ohne zu schlafen – in Clubs unterwegs. Wir konsumierten alles, was wir finden konnten. Drei Jahre ging das so. Bei der Arbeit liess meine Leistung natürlich nach, aber das schien keiner gross zu bemerken.
Am Montag war ich zu nichts zu gebrauchen. Ich sass wie ein Zombie mit einem trockenen Gipfeli in der Teamsitzung, das ich kaum runterbrachte. Am Dienstag ging es langsam etwas besser, da hatte ich dann immerhin geduscht. Am Mittwoch und Donnerstag gab ich Gas. Der Freitag war ein schwieriger Fall. Wenn ich es ins Büro schaffte, ging es gut.
Einmal wachte ich jedoch um 15 Uhr auf meinem Küchenboden auf, tastete nach meinem Handy und sah, dass mich das Büro gesucht hatte. Ich dachte bloss: Naja, jetzt brauchen sie mich wohl auch nicht mehr.
Einmal war ich für die Arbeit länger in Birmingham. Ich wohnte zusammen mit einer jungen Mutter und ihrem Kind in einem Haus. Nach einer Weile zog ein Hooligan bei uns ein. Ab diesem Moment soffen wir jeden Abend drei Flaschen Wein. Das Projekt ging damals ziemlich bachab. Aus irgendeinem Grund fiel das aber nie auf mich zurück.
Sowieso hat meinen Zustand bei der Arbeit nie jemand thematisiert. Nur einmal bemerkte jemand, dass ich nach Waschmittel rieche. Das war dieser typische Speed-Schweiss in meinem T-Shirt.
Das mit Jane war dann irgendwann vorbei. Die Trennung war genauso verrückt wie die Frau selbst. Da ich Jane aus dem Weg gehen wollte, musste ich auch mein Nachtleben neu planen. So entdeckte ich Outdoor-Goa-Partys.
Da hatte ich auf LSD ein spirituelles Naturerlebnis. Ich sass auf einem Stein, hörte diese wunderschöne Musik, um mich herum atmete die Natur, ich betrachtete den Mond und war ganz hingerissen. Da wurde mir klar: Es gibt mehr im Leben! Daraufhin habe ich meinen Job gekündigt – zum ersten Mal in meinem Leben.
Heute habe ich seit 10 Jahren keinen Alkohol mehr angefasst. Ich war zwischenzeitlich Blumenverkäufer und Masseur. Heute arbeite ich als selbstständiger Osteopath. Für die Behandlung meiner Patientinnen und Patienten brauche ich meine Sinne beieinander.
Substanzen haben nur noch in einem gewissen Rahmen Platz. Ich setzte mich viel mit mir selbst und meinem Inneren auseinander und meditiere regelmässig. Gelegentliche LSD-Erfahrungen empfinde ich als spannende Ergänzung zur Meditation.
Wenn mich in meinem alten Leben jemand gefragt hätte, ob ich glücklich bin, hätte ich das bejaht. Heute, wo ich etwas behutsamer mit mir selbst bin, merke ich aber, dass ich mir damals extrem viel zugemutet habe. Ich wollte während all dieser Jahre immer der Krasse sein. Ich wollte nicht einfach abstürzen, ich wollte krasser abstürzen als alle anderen. Ich trieb den Exzess auf die Spitze – und darüber hinaus.
Kürzlich traf ich einen alten Arbeitskollegen, der noch immer in derselben Firma arbeitet wie ich damals. Er hat inzwischen zwei Kinder bekommen, ansonsten scheint er aber ganz der Alte. Mir fiel auf, wie krass ich das fand. Er stand immer noch ziemlich genau am gleichen Punkt wie damals. Mir kommt es so vor, als hätte ich in derselben Zeit gleich zwei komplette Leben geführt.
Eine Veranstaltungsreihe von substanzielles.ch, der Photobastei und der Gesellschaft zur Erweiterung des Bewusstseins. Jeden letzten Mittwoch im Monat in Zürich.